Geschichte 4: Was sollte Journalismus und warum?
 
Journalismus kann „die Stimme des Herrn, der Mächtigen” sein. Er kann – wie die Flugblätter – die Lust an Sensationen befriedigen, aber er kann auch eine Stimme der Aufklärung sein, die auf das politische Geschehen Einfluss nimmt. Sei es, weil sie Missstände benennt, sei es, weil sie Ideen verbreitet, wie man besser zusammenleben könnte.
In den Zeiten vor Radio, Fernsehen und Internet, waren Journalisten und Verleger die treibenden Kräfte für die gesellschaftlichen Debatten und den Wandel der oft despotischer Kleinstaaterei (das Deutsche Reiche hatte 1789 genau so viele (1789) Einzelstaaten, deren manchmal winziges Herrschaftsgebiet zum Teil vom Balkon des Schlosses überschaubar war) hin zu Aufklärung und später zur Demokratie.
Der Autor Josef Görres (1776-1848) gründete 1814 den „Rheinischen Merkur” und der wurde von Napoleon als „fünfte feindliche Großmacht” bezeichnet. Kein Wunder, wenn man später die Presse als die vierte Säule der Demokratie bezeichnete (neben Legislative, Judikative und Exekutive – Gesetzgebung, Rechtsprechung und ausführende Gewalt (Polizei)). Ohne das Vorstellen und Vermitteln (neuer) Ideen und dem notwendigen Streit über deren Wert, kann sich eine Gemeinschaft kaum weiter entwickeln.
Bücher und Zeitungen hatten einen großen Einfluss auf den Gang der Geschichte. (Heute wendet sich der türkische Regierungschef über Twitter an seine Anhänger.) Autoren wie Görres prägten frühe Zeitungen, aber auch Verleger, wie Johann Friedrich Cotta (1764-1832). Aus dem Buchhandel, der damals auch eine Druckerei beinhaltete, schuf er einen Verlag, der nicht mur viele führende Autoren seiner Zeit verlegte (Schiller, Goethe, Herder, Fichte, Hölderlin, Kleist, Jean Paul, Hegel, Schelling und Alexander von Humboldt) und als Erster anständig bezahlte, sondern auch rund 40 Zeitungen und Zeitschriften (besonders bekannt waren die "Allgemeine Zeitung” und "Das Morgenblatt für die gebildeten Stände”) heraus gab. Sein Verlagsarchiv mit rund 150 000 Briefe führte 1961 zur Gründung des Deutschen Literaturarchivs in Marbach.
Dr. Bernhard Fischer, Direktor des Goethe- und Schillerarchivs in Weimar und früherer Leiter des Cotta-Archives in Marbach beschreibt die politische Bedeutung der Zeitungen damals:
„Die Zeitungen die waren die großen Foren in denen diese (politischen) Fragen besprochen wurden, das Pro und das Contra natürlich ganz sachlich. Aber die ganzen positiven Entwicklungen wurden da natürlich dokumentiert und in ihren fruchtbaren Folgen dargestellt. Das war klar, das ist seine Pressemacht, seine Presse eben als Forum zu benutzen und als Organ, als Sprachrohr, um bestimmte Ideen in die Öffentlichkeit zu bringen und in der Öffentlichkeit durchzusetzen und damit möglichst auch die Politiker, die Regierung zu beeindrucken, zu beeinflussen und zu einem solchen Handeln zu bringen.”
Cotta war dabei sowohl als Verleger, als auch als Politiker tätig. Seine politischen Aktivitäten, etwa im Landtag und beim Wiener Kongress, dienten jedoch in erster Linie nicht dem Verlag wie Fischer skizziert:
„Das was ihn wirklich an der Politik sehr interessierte, das war natürlich das Schicksal seines Landes und das bedeutet im wesentlichen eine Modernisierung der Administration, also der Verwaltung, aber vor allen Dingen ein neues Staatsrechtliches Verhältnis, nicht mehr dieser alte altrechtlicher Staat mit Ständen und einem Ausschusswesen, mit Nepotismus und allem drum und dran, sondern ein moderner Verfassungsstaat mit dem König an der Spitze, also sprich eine konstitutionelle Monarchie mit einem Zweikammer-Parlament.”
Cotta, der um vier Uhr aufstand und bis abends neun Uhr arbeitete (etwas, was nicht jeder zu leisten im Stande ist), verstand sich nicht nur als Geschäftsmann, sondern auch als Bürger, der seinem Land verpflichtet war und ihm dienen wollte. Und das tat er auf den verschiedensten Gebieten. Dr. Helmuth Mojem, Leiter des Cotta-Archivs im Deutschen Literaturarchiv in Marbach:
„Neben dieser verlegerischen Tätigkeit, hat er sich auf allen möglichen anderen Feldern bewährt, als Politiker, als Technikpionier: Er hat verschiedene Unternehmungen in diesem Bereich angestoßen und selbst geleitet. Unter anderem ist er maßgebend für die Einführung der Dampfschifffahrt auf dem Bodensee und dem Oberrhein; er hat mehrere Landgüter besessen, die er nach damals sehr modernen Gesichtspunkten bewirtschaftet hat; er hatte ein Hotel in Baden-Baden.”
Sowohl beim Autor Görres, als auch beim Verleger Cotta handelt es sich um sehr gebildete Menschen, die das, was sie in ihrer Zeit für wichtig halten, veröffentlichen. Das sind natürlich persönliche Überzeugungen auf Grund der eigenen Biographien, aber eben auch auf Grund einer gründlichen Beschäftigung mit der damaligen Welt und ihrem Zustand.
Dabei lässt sich manchmal nicht trennen, ob der Kampf gegen Kleinstaaterei und Zölle (auch auf Drucke und Zeitungen) und für einen Zollverein mehr der politischen Einsicht, oder den Interessen des Verlags diente. Zölle erschwerten den Vertrieb von Zeitungen, weil sie deren Preis mehr als verdoppeln konnten, wenn sie von Stuttgart nach Hamburg geliefert werden sollten (von 6 auf 13 Gulden).
Natürlich neigt man dazu in der Rückschau große Persönlichkeiten zu überschätzen, weil man eben manchmal erst in der Rückschau erkennt, ja erkennen kann, welche Leistungen jemand erbracht hat. Dennoch kann man wohl behaupten, dass für die beiden hier beispielhaft Erwähnten Gewinne nicht an erster Stelle standen. Es waren Persönlichkeiten, die mit all ihrer Kraft sich für Ideen und eine bessere Zukunft ihres Landes einsetzten, wobei ihr wirtschaftlicher Erfolg ihnen sicherlich half, aber eben auch bestätigte, dass sie die damals wichtigen Fragen stellten und Themen und Autoren veröffentlichten, die Antworten auf die Fragen ihrer Zeit zu geben versuchten. Cottas wirtschaftlicher Erfolg war nicht in erster Linie das Ergebnis einer Marketingstrategie, sondern ein Ergebnis des Bemühens den Zeitgenossen gut zu dienen. Das erscheint heute fremd. Aber so funktionierte Wirtschaft Jahrtausende lang. Der Unterschied zum Marketing ist, dass dort der Gewinn an die Stelle des Dienens trat. Wirtschaft, für die der Gewinn das oberste Ziel ist, dient aber nicht mehr den Menschen, sondern nur noch den Besitzern der Produktionsmittel, ist deshalb asozial (sich aus der Gemeinschaft heraus nehmend).
Der Blick in die Vergangenheit zeigt, dass Journalismus eine politische Veranstaltung ist, die zugleich bemüht sein sollte den Menschen gut zu dienen. Man kann daraus für Journalisten drei Forderungen ableiten:
  1. 1. Die Bereitschaft der Allgemeinheit zu dienen.
  2. 2. Politische Grundkenntnisse.
  3. 3.Gute Kenntnisse der jeweiligen Zeit, der Mitbürger und deren Bedürfnisse.
Das reicht natürlich noch nicht. Aber genau so wenig reicht es „irgend was mit Medien machen  zu wollen.
 
Aufschrift auf einem Fahrzeug der ARD.
Carl-Josef Kutzbach
Montag, 3. Oktober 2016