In England will Boris Johnson die BBC an die Kandare nehmen, weil er sie als „Störsender” empfindet. In Deutschland hat ein führendes CDU-Mitglied, das vielleicht gerne Kanzler würde, über die herkömmlichen Medien gesagt: „Wir brauchen die nicht mehr.”
Auch der wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat schon vor Jahren geurteilt die öffentlich rechtlichen Sender (ARD, ZDF und Deutschlandfunk) seien nicht mehr nötig.
All das offenbart eine erschreckende Unkenntnis über Demokratie und Medien, wie sie einst auch Adenauer dazu brachte das ZDF zu gründen, weil ihm die ARD zu kritisch war. Heute meint der Kanzlerkandidat in spe laut Deutschlandfunk:
„Politiker könnten über Youtube und andere eigene Social-Media-Kanäle ihre Interessen wahrnehmen und ihre Deutungshoheit behalten. Das sei eine gute Nachricht der Digitalisierung.“
Es geht ihm also genau wie Boris Johnson nicht darum das Beste für das Land zu wollen, sondern darum seine Interessen durchzusetzen. Er sieht in den Medien einen Service für Politiker, die die Medien als Sprachrohre benutzen wollen. Kritik? Unerwünscht!
Was ist daran so schlimm?
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1.Ein demokratisches Land ist kein Selbstbedienungsladen für Politiker, sondern diese haben dem Land zu dienen. Das Wort „Minister” heißt auf deutsch „Diener”.
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2.Demokratie braucht verlässliche Informationen, wie sie öffentlich rechtliche Medien in der Regel bieten. Nur wenn die Wähler sich über jeden Politiker, seine Stärken und Schwächen informieren können, können sie in ihrem eigenen und im Interesse des Landes vernünftig wählen.
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3.Wer die verlässlichen Informationen durch Eigenlob und Deutungshoheit abschaffen möchte, will die Demokratie abschaffen („Lügenpresse”) oder schwächen. Das führt zu autoritären Systemen.
Wer in der Schule den Klassensprecher wählen soll, kennt meist seine Mitschüler gut genug, um eine Wahl zu treffen. In einem Staat kann der Einzelne auf Grund der großen Zahl nicht alle zur Wahl stehenden so gut kennen, dass er entscheiden könnte, wem er am meisten vertraut.
Deshalb braucht es Medien (d.h. Vermittler), die Kandidaten vorstellen. Und nach der Wahl haben die Medien als zweite Aufgabe zu prüfen, ob die Gewählten auch tun, was sie versprachen, ob sie also bei der nächsten Wahl als vertrauenswürdig gelten können.
Die Aufgabe der Medien ist also einerseits das Beschreiben von Kandidaten und den aktuellen Problemen, die gelöst werden sollten. Und andererseits die Kontrolle der Gewählten, ob sie auch dem Lande und seinen Menschen dienen und diese Probleme lösen. Tun sie es nicht, müssen sie sich eben auch Kritik gefallen lassen.
Wer Medien bevorzugt, die weder Probleme benennen, noch kritisieren, wenn jemand seine Aufgaben nicht löst, der ist entweder zu dumm, um zu erkennen wie wichtig das für die Demokratie ist, oder aber er hat Dreck am Stecken und will das verheimlichen. Im Falle von Boris Johnson sind das seine vielen Lügen, die unter anderem auch die BBC aufgedeckt hat. Das ihm das nicht gefällt, kann man verstehen. Dass er dafür einen wesentlichen Baustein für eine funktionierende Demokratie zerstören will, zeigt, dass es ihm in erster Linie um sich selbst und nicht um das Land geht.
Warum sind öffentlich rechtliche Medien wichtig?
Die BBC war einst ein privatwirtschaftlicher Rundfunksender, der in viele Skandale verwickelt war. Deshalb schuf man das Modell eines Senders, der durch eine Gebühr finanziert wird und dadurch unabhängig von Wirtschaft und Mächtigen sein soll. Außerdem schuf man Gremien, die die Unabhängigkeit und die Ausgewogenheit der Berichterstattung sichern sollten. Die Gebühr soll so niedrig sein, dass sich jeder Bürger das Radiohören leisten kann. Damit der Sender aber für alle Bürger nützlich ist, muss er ausgewogen berichten, also Argumente für und wieder einer Sache darstellen. Extreme Positionen, oder reißerische Berichterstattung haben dort keinen Platz, weil die Informationen für alle Bürger nützlich sein sollen.
Man könnte die öffentlich rechtlichen Sender als die Infrastruktur des Diskurses der Demokratie bezeichnen. So ähnlich, wie Gleise, Straßen, Kanäle, Leitungen die Infrastruktur des Landes und der Wirtschaft darstellen. Mit Hilfe der Sender soll sich jeder Bürger informieren können und Argumente für und wider seinen Standpunkt kennen lernen. Deshalb das Gebot der Ausgewogenheit.
Als Radio und Fernsehen entstanden gab es längst Zeitungen und Zeitschriften, die aber in der Regel einem Verleger gehörten und folglich dessen Ansichten vertraten. Es galt oft der böse Satz: „Pressefreiheit ist die Freiheit einiger Verleger ihre Meinung zu verbreiten.” Das war auch in England so, als die BBC entstand. Das neue Medium Radio war am Anfang sehr teuer und später beim Fernsehen war es ähnlich. Nur sehr finanzkräftige konnten zunächst die nötige Technik bezahlen.
In Deutschland war es Hitler, der das neue Medium als Instrument für seine Propaganda nutzen wollte und daher dessen Verbreitung förderte (etwa durch billige Volksempfänger). Das Radio war in Deutschland „die Stimme seines Herrn”, eben der Reichsrundfunk.
Daher legten die Besatzungsmächte nach dem zweiten Weltkrieg Wert darauf den Rundfunk nicht wieder in die Hände der Regierung fallen zu lassen und übernahmen das Modell der BBC als öffentlich rechtliche Sender in den verschiedenen westlichen Besatzungszonen.
So entstand in Deutschland das Zwei-Säulen-Modell der Medien: Hier der öffentlich rechtliche Rundfunk und dort die privatwirtschaftlichen Zeitungen und Zeitschriften. Man wollte durch einen finanziell gut ausgestatteten Rundfunk das Niveau heben und die privatwirtschaftlichen Blätter durch diese Konkurrenz ebenfalls zu mehr Niveau drängen.
Zugleich sollte die Vielfalt der Blätter und Sender auch dafür sorgen, dass möglichst nichts Wichtiges unter den Tisch fiel. Es gab anfangs doch einige Orte, in denen es mehr als ein Lokalblatt gab, so dass es auch unter den örtlichen Zeitungen eine heilsame Konkurrenz gab. Diese Vielfalt ist seither zurück gegangen, da es wirtschaftlich lohnender ist, wenn die Arbeit von Journalisten mehrfach genutzt werden kann. Dass das nicht im Sinne der Demokratie ist, die viele verschiedene Ideen und Gedanken, Sichtweisen und das Aufzeigen von Mängeln braucht, interessierte die Verleger wenig. Immer mehr Lokalredaktionen verschwanden und mit ihnen die Lokalzeitungen. Oft tun sie noch so, als ob sie selbständig wären, beziehen aber einen großen Teil ihrer Seiten von einer zentralen Redaktion. Für die Demokratie ist das, als ob die Maschen des Netzes, das die Sorgen und Nöte der Menschen zu fischen versucht immer größer werden. Deshalb haben viele Leute das Gefühl, sie kämen in den Medien nicht mehr vor.
Leider gibt es auch bei den Sendern von Radio und Fernsehen einen Niedergang in der Qualität. Das hängt damit zusammen, dass 1984 private Sender zugelassen wurden. Das alleine wäre kein Problem gewesen, wenn nicht die Politik gefordert hätte, dass die öffentlich rechtlichen Sender sich nun auch daran messen lassen müssten, wie viele Nutzer sie haben. Damit wurde das oberste Ziel „Qualität” durch „Quantität” ersetzt. Wenn man aber Klasse durch Masse ersetzt, dann muss man sich auch nach der Masse richten, statt sich um höchste Qualität zu bemühen. Die größte Masse an Nutzern erreicht man, wenn man ein sehr niedriges Niveau anstrebt. Das ist nicht Bosheit, sondern Mathematik: Ein Sandhaufen hat an seiner Spitze nur ein paar Körnchen Sand, aber an seiner Basis sind es sehr viel mehr, als weiter oben.
Ob das Dummheit damaliger Politiker war, oder Absicht (es gab auch erhebliche wirtschaftliche Interessen) ist im Ergebnis gleichgültig. Private Sender boten die beliebteste Musik und ein wenig Nachrichten, damit man dazwischen möglichst viel Werbung verkaufen konnte. Die öffentlich rechtlichen Sender versuchten auf einem etwas höheren Niveau ebenfalls die für die Werbung interessanten Zielgruppen zu bedienen und behielten als „kulturelles Feigenblatt” Programme für die Elite, in denen es Klassik, Hörspiele, Literatur und Bildung gibt.
Man kann sich leicht ausrechnen, dass mehr Programme zugleich bedeuten, dass immer weniger Menschen ein einzelnes Programm nutzen. Also kann der Sender für dieses Programm auch nicht mehr den gewohnten Aufwand treiben. Das mag bei einigen Programmen nicht so sehr ins Gewicht fallen, aber da der größte Teil vom Werbekuchen an private Sender geht, mussten die öffentlich rechtlichen Sender eben auch mit weniger Einnahmen aus der Werbung auskommen, was irgend wann auf die Qualität durch schlug. Ergebnis: Mehr Programme, aber weniger Qualität.
Wenn der wissenschaftliche Dienst des Bundestages meinte, dass die öffentlich rechtlichen Sender nicht mehr nötig seien, dann meinte er eigentlich, dass der technische Aufwand um einen Sender zu betreiben durch moderne Technik gesunken ist, von Langwelle und Kurzwelle über Mittelwelle zur Ultrakurzwelle und dann zur digitalen Ausstrahlung, die viel weniger Energie benötigt. Aber das bedeutet nicht, dass der Wert von um Ausgewogenheit und Qualität bemühten öffentlich rechtlichen Sendern gesunken wäre. Im Gegenteil die Medienlandschaft wurde unübersichtlicher. Die technische Entwicklung hat nur dazu geführt, dass die Qualität bei den öffentlich rechtlichen Sendern nicht so stark sank, weil der geringere technische Aufwand die sinkenden Werbe-Einahmen teilweise ausglich. Wieso der wissenschaftliche Dienst des Bundestages die technische Entwicklung mit der Funktion unabhängiger Medien für die Demokratie verwechselte, ist seltsam.
Sicher ist, dass die Verleger, die sich nun auch auf dem Radio und Fernsehmarkt tummelten seit Jahren gegen die ungeliebte Konkurrenz der ARD schießen. So versuchte man die mit Gebühren finanzierten Inhalte der Öffentlich Rechtlichen aus dem Internet fern zu halten, oder dort nur zeitlich beschränkt zuzulassen. Da die ARD meist einen höheren Aufwand treiben kann, tritt genau das ein, was die Besatzungsmächte wollten, sie zwingen die Verlage zu einem höheren Niveau. Doch die wollen Gewinne machen, statt ihre staatspolitische Pflicht zu erfüllen. Gelänge es den Verlegern und privaten Radio- und Fernsehveranstaltern die öffentlich-rechtliche Konkurrenz zu beseitigen, bräuchten sie sich noch weniger um Qualität bemühen. Die Werbeeinnahmen der ARD könnten sie untereinander aufteilen, auch, wenn das nur rund 10 dessen ist, was sie sowieso einnehmen (über 3 Mrd. €).
Grundsätzlich ist nichts dagegen zu sagen, wenn Blätter und Sender von privaten Firmen betrieben werden, wenn darunter die Qualität nicht leidet. Deshalb wurden die Landesmedienanstalten geschaffen, die auch kontrollieren sollen, ob die Sender ihre Pflichten erfüllen.
Allerdings zeigt das Beispiel England wieder, wohin die Entwicklung gehen kann, wenn man nicht aufpasst. In England haben reißerische Boulevardzeitungen mit zum Teil sogar bösartigen Kampagnen und unter Rechtsbruch (Sun) Geschichten veröffentlicht, die z.B. das Land beim Brexit noch stärker gespalten haben. Das Einzige, was zählt, ist die Auflage, oder der Schaden, den man der Konkurrenz zufügen kann. Dass das dem ganzen Land schadet, spielt für die Besitzer offenbar keine Rolle.
Journalismus
Da der Gewinn der Besitzer am größten ist, wenn der Aufwand möglichst niedrig ist, bleibt auch der Journalismus auf der Strecke. Da Wahrnehmen und Formulieren sich kaum beschleunigen lassen, ist für freie Journalisten, die den größten Teil der Beiträge liefern, die einzige Möglichkeit zu sparen, wenn sie weniger ausgiebig recherchieren und prüfen. Immer mehr Texte werden längst von Computern erstellt, ohne, dass ein Autor nötig wäre. Da werden dann allerdings nur elektronisch angelieferte Fakten (Sportergebnisse, Polizeibericht) mit einander verknüpft. Aber es wird nicht mehr recherchiert (nach Fakten gesucht, oder Fakten überprüft). Wenn sich aber niemand mehr die Mühe macht Fakten zu suchen und zu überprüfen, sinkt die Qualität der Medien. Das gilt auch für die Bilder, denn ein professioneller Fotograf kann kein anständiges Bild für 2 Euro liefern. Das sollen die Journalisten ohne fotografische Ausbildung dann eben mit ihrem Smart-Phone liefern, oder gleich einen kleinen Film. In den meisten Fällen ist die Qualität entsprechend. Obendrein soll es schnell gehen, also ist Sorgfalt nur störend.
Wenn aber statt geprüfter Informationen nur ungeprüfte Gerüchte die Debatten in einer Demokratie bestimmen, dann sinkt die Qualität der Entscheidungen.
Mittlerweile sind in vielen Redaktionen junge Leute, die „irgend etwas mit Medien machen” wollten, aber weder Sinn-entnehmend lesen können, noch einen „geraden Satz” zustande bekommen, wie erfahren Kollegen berichten. Früher hätte man so jemand zu einem anderen Beruf geraten, heute dürfen sie sich in den Medien blamieren.
Internet und seine Dienste
Man sieht an dieser Flut von Unfug, Gerüchten bis hin zu Verschwörungstheorien und Hass, dass im Internet andere Regeln gelten, als für seriösen Journalismus. In seriösen Medien geht nur als Meldung raus, was von zwei unabhängigen Quellen gemeldet oder bestätigt wurde. Andernfalls wird es als unbestätigtes Gerücht bezeichnet. Im Internet dagegen wird alles ausposaunt, was irgend jemand in den Sinn kommt, oder ihm gerade passt, bis hin zu den Kurznachrichten des US-Präsidenten. Dass dabei nicht mal mehr Menschen hinter Meldungen stecken müssen, sondern Roboter im Sinne ihrer bezahlenden Kunden tätig werden, hat man im amerikanischen Wahlkampf erlebt.
Dabei ist nicht das Internet das Problem, sondern die Art und Weise, wie Menschen es benutzen, und, wie sie dort ausgenützt werden. Sei es, dass ihre Daten gesammelt und verkauft werden, sei es, dass sie Rechte an Inhalten (Fotos, Filme, Videos oder Texte), die sie hoch laden, teilweise verlieren oder ihre gesamte E-mail mit gelesen und ausgewertet wird. Die großen Internet-Konzerne verdanken ihren Reichtum der (oft heimlichen) Ausbeutung der kleinen Leute und die meisten Staaten schützen ihre Bürger nur ungenügend.
Viele Dienste könnten nützlich sein, wenn sie auch fair wären und ihre Nutzer anständig informierten und behandelten. Aber dann würden sie weniger verdienen.
Man kann sich das ungefähr so vorstellen, wie bei einem Autounfall. Der ist für die betroffenen Menschen schrecklich, aber für das Bruttosozialprodukt gut, weil ja neuer Umsatz erzeugt wird. Ganz ähnlich ist es für Internet-Konzerne wirtschaftlich gut, wenn im Internet die Fetzen fliegen, denn je mehr die Menschen von sich preisgeben und je länger sie im Netz sind, desto mehr verdient das Unternehmen. Deshalb werden auch Hass und andere fragwürdige Inhalte nur zögerlich gelöscht, denn das macht Arbeit, kostet Geld und schmälert den Gewinn.
Fazit:
Grade in diesen Zeiten, in denen viele Menschen nach Halt, nach Sicherheit, nach Vertrauen suchen, wären öffentlich rechtliche Medien wertvoll und wichtig. Vor allem, wenn sie sich wieder auf ihre wichtigste Aufgabe, die Qualität besännen. Dann könnte ihre Glaubwürdigkeit und Ausgewogenheit auch heilsam auf die politischen Debatten wirken, weil Lügenbarone, wie Trump oder Johnson entlarvt werden und anständige Politiker eine Chance bekämen.
Wer jedoch die öffentlich rechtlichen Medien knebeln oder abschaffen will, wie Johnson, oder der CDU-Mann, oder der wissenschaftliche Dienst des Bundestages, denen sollte man misstrauen, denn entweder haben sie wesentliche Elemente der Demokratie nicht verstanden, oder sie verfolgen nur ihre eigenen Interessen, nicht aber die der Bürger des Landes.
Nachtrag: Der CDU-Politiker hat auf Protest des Deutschen Journalisten Verbandes verkünden lassen, dass er stets für die Pressefreiheit eintrete. Er hat also immer noch nicht begriffen, dass die Abschaffung der klassischen Medien (egal auf welchen Vertriebswegen) zugleich die Abschaffung einer unabhängigen und geprüften Information bedeutet, die für das Funktionieren der Demokratie unbedingt nötig ist. Wenn man die Orte und Vertriebswege für seriösen Journalismus beseitig, braucht man sich über Pressefreiheit keine Gedanken mehr machen.
Das Bild oben zeigt einen Fernseher im Krankenhaus. Medien sind heute in jedem Krankenhauszimmer gegenwärtig und dank der Smart-Phones noch mehr. Ob sie der Genesung mehr dienen, als ausgiebige Ruhe und zu sich selbst Kommen, darf bezweifelt werden.