Zeitungsverlage schaden Demokratie
 
Als das Internet entstand, meinten auch die Zeitungsverlage, sie müssten dort mit kostenlosen Angeboten vertreten sein. Kaum jemand machte sich Gedanken über die Auswirkungen und wie das finanziert werden solle. Es war der Glaube, dass man als Erster da sein müsse, um ja nicht der Konkurrenz das Feld zu überlassen. Es war ein Rausch, als man meinte die Zukunft läge nur im Netz. Man sah die Einrichtung einer Online-Redaktion als Investition in die Zukunft und heuerte Leute, die etwas von Rechnern verstanden, für billiges Geld an.
Aber die Folge war, dass viele die Zeitung abbestellten, sobald sie alles Wesentliche schon am Vortag im Internet lesen konnten. Dass sie sich damit selbst unter Zeitdruck setzten, war auch den meisten Nutzern nicht klar. Schnelligkeit wurde für Manche ein Wert an sich.
Es gab sogar Leserbriefschreiber, denen es im Internet gar nicht um Inhalte ging, sondern darum als Erster veröffentlich zu werden. Leserbriefe, die fast sofort auf der Webseite der Zeitung unter dem entsprechenden Beitrag erscheinen, banden manche an „ihre“ Zeitung und erzählten der Redaktion, was bei den Lesern ankam und was weniger. Allerdings zeigte sich bald, dass die Umgangsformen anonymer Nutzer oft so schlecht waren, dass man das direkte Veröffentlichen unterbinden musste und Leute brauchte, die die Leserbriefe sichteten. Auch das kostet Geld, also wurde diese Möglichkeit bald stark zurück gefahren und damit vermutlich auch sinnvolle Debatten verhindert.
Sobald bezahlte Werbung auf den Seiten erschien, wurde die Zahl der Seitennutzer wichtig und man begann, die Klicks zu zählen und das Verhalten der Nutzer auszuspionieren. Zunächst ging es nur um die Zahlen, die beim gedruckten Blatt der Auflage entsprechen, die den Preis für die Werbung bestimmen (der so genannte 1000-Leser-Preis).
Da aber die Werbung im Internet nicht die Ausfälle in der gedruckten Zeitung ausglichen, fehlte den Verlegern Geld. Man hatte eben ohne Konzept begonnen die Zeitung ins Netz zu stellen und gehofft, die Einnahmen im Netz würden schon das zusätzliche Geld erwirtschaften, das man für Online-Redaktion und Leserbrief-Sichten brauchte. Das Ergebnis waren erstens Sparmaßnahmen, die wiederum die Qualität senkten. Zweitens suchte man, wie die Wirtschaft, sein Heil in der Größe, durch Zukäufe, Fusionen, Übernahmen. Dadurch sank die Pressevielfalt. So wurde aus der Zwei-Zeitungsstadt Stuttgart mit Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten eine Stadt, in der sich die Redaktionen keine Konkurrenz mehr machen und nicht mehr so anstrengen müssen, obwohl man versprochen hatte genau diese Zusammenlegung niemals durchzuführen, als man gemeinsame Werbung für beide einführte.
Drittens konnte man durch die Zusammenlegung von Redaktionen Leute entlassen, was wieder zu Lasten der Qualität ging. Dafür erscheinen nun nicht mehr zwei verschiedene Artikel in beiden Blättern, sondern nur einer. Wieder wird die demokratische Meinungsbildung verengt.
Die sinkende Qualität und Einförmigkeit beider Blätter, die nun zwar noch erscheinen, aber sich inhaltlich vor allem durch die Schmuckfarbe und das Layout unterscheiden, führte zu weiteren Abbestellungen, wobei auch der Versuch mehr Geld durch höhere Verkaufspreise zu erzielen dazu beigetragen haben dürfte.
Auch im Umgang mit den großen Internetfirmen (Google, Facebook & Co.) hatte man keine klare Linie, sondern benutzte etwa Facebook, obwohl das wiederholt durch Datenschutz-Verstöße auffiel. Gegen Google versuchte man vorzugehen, um von der Suchmaschine Geld dafür zu erhalten, dass man Inhalte liefere, fiel damit aber bisher meist auf die Nase.
Da die Werbung im Internet billig herzustellen ist, wurde sie sehr verstärkt, so dass etwa ein Drittel der Benutzer einen Werbeblocker (Addblocker) installierte, um vor aufspringenden, die Sicht verstellenden, musizierenden und vor allem das Laden der Seite langsamer machender Werbung verschont zu werden. Etwa ein Drittel benutzen Addblocker, ungefähr so viele, wie am Briefkasten ein Werbeverbot kleben haben.
Einige Blätter klinken nun Werbung in den redaktionellen Teil ein, wobei eine hellgraue kaum auffallende Schrift signalisiert, dass es sich um Werbung, aber nicht Journalismus handelt. Der Nutzer sieht es und füllt sich nicht ernst genommen.
Dabei wird im Internet häufig gezielte Werbung dem Benutzer zugespielt. Dazu muss man den aber kennen. Also werden die Besucher von Webseiten ausspioniert, damit man weiß, wer da wo mit welchen Interessen am Rechner oder Smart-Phone sitzt, so dass man ihm Werbung zuspielen kann, die zu seinen Interessen passt. Einfachstes Beispiel: Wer mit Apple online geht, bekommt Werbung für Apple, mit anderen Betriebssystemen eben Werbung für diese. Dabei findet im Hintergrund eine Auktion statt, bei die Werbung und ihr Preis ausgehandelt werden, um dann blitzschnell auf dem Bildschirm zu erscheinen. Dadurch sind die Zeitungsverlage (und andere Werbetreibende) zusätzlich in eine Abhängigkeit von Firmen geraten, die im Hintergrund mit erheblichem Aufwand Werbung vermarkten.
Die Nutzer bemerken das in der Regel nicht, denn nur wenn man Programme, wie etwa NoScript im Browser installiert, sieht man wer da alles Zugriff auf die eigenen Daten haben möchte, beziehungsweise, wer da auf dem Rechner des Nutzers Software installieren oder ausführen möchte. Weil das der normale Nutzer gar nicht bemerkt, ist ihm auch nicht klar, dass er mit Hilfe des Internets zum „Gläsernen Bürger” wurde.
Das geh bis hin zur Erpressung, dass man durch das weiter Nutzen einer Seite automatisch dem Setzen von Cockies („Kekse“ = kleine Programme auf dem Rechner des Nutzers, mit denen man ihn z.B. verfolgen kann) zustimme. Im Klartext: Wenn Man diese Seite nutzen will, muss man sich bereit erklären, sich ausforschen zu lassen. Rechtlich äußerst problematisch und zugleich eine Erziehung zum braven Befehlsempfänger, der Befehle nicht in Frage stellt.
Aber all diese Maßnahmen haben die wirtschaftliche Lage der Zeitungsverlage nicht so weit verbessert, dass sie das Herausgeben einer Zeitung als „Lizenz zum Gelddrucken” ansehen könnten, wie das früher der Fall war. Man jammert auf hohem Niveau, weil man selbst nach Jahrzehnten des Internets immer noch kein Geschäftsmodell hat, das funktioniert.
Problematisch ist, dass sich die Internet-Nutzer daran gewöhnt haben, dass Vieles kostenlos ist. Wikipedia leistet gute Arbeit, hat aber viele Lexikonverlage in Schwierigkeiten gebracht. Ähnlich nagt Open Street Map an Landkartenherstellern. Firmen stellen ihre Kataloge ins Netz und man kann dort durch Anklicken (und Daten-Eingabe) einkaufen. Banken und Versicherungen sparen Portogebühren, indem sie den Nutzer die Arbeit selbst machen lassen, die früher Mitarbeiter erledigten. Es ist also eigentlich überhaupt nicht „kostenlos”, sondern Arbeit wurde über das Internet auf die Kunden verlagert. Ähnlich ist es mit der Steuererklärung, die möglichst digital erfolgen soll, damit man sie im Finanzamt automatisch sortiert, ob da noch ein Mitarbeiter dran muss, oder ob der Steuerbescheid automatisch erzeugt werden kann.
Kostenlos ist eine Illusion. Es geht im Internet um die Aufmerksamkeit des Benutzers für Werbung und darum mit Hilfe seiner Daten diesen Menschen möglichst genau für die Werbung zu untersuchen, die ihm dann das Geld aus der Tasche ziehen will. Der Internet-Besucher bezahlt also einmal mit Aufmerksamkeit für Dinge, die er gar nicht sucht, und andererseits mit Daten, die seine Privatsphäre preisgeben. Nur weil man scheinbar keine Münzen und Scheine dafür bezahlt, ist das Internet nicht kostenlos. Schließlich braucht man ja auch noch ein Gerät, mit dem man ins Internet gehen kann (Rechner, Smart-Phone...).
Die Illusion, dass das Internet kostenlos wäre, macht den Verlagen zu schaffen, denn sie waren gewohnt für Texte und Bilder, die sie erstellt haben, ein Entgelt zu bekommen, was ja grundsätzlich fair ist. Auch die Finanzierung von Zeitungen durch Abonnements und Werbung ist nicht zu beanstanden. Wobei die Spannweite vom reißerischen Boulevard bis zur seriösen tief-schürfenden Hintergrundinformation reichen kann. Der Boulevard fürs Gefühl, die Information für das Gehirn. Aber dieses Geschäftsmodell haben die Verlage mit kostenlosen Angeboten im Netz teilweise selbst ruiniert.
Jetzt versucht man die Nutzer zum Bezahlen zu bringen. Erst sperrte man diejenigen aus, die einen Werbeblocker benutzen. Dann führte man Bezahl-Schranken ein, zunächst bei einigen wenigen besonders interessanten Artikeln und nun immer häufiger. Das bedeutet, man stößt die vor den Kopf, die sich für die Inhalte interessieren. Demokratie wird erschwert.
Zudem versucht man das eigene Angebot noch attraktiver zu machen, indem man Podcasts und Filme anbietet, die aber den Nachteil haben, dass ihre Produktion nicht zu den Kernkompetenzen von Zeitungen zählt und zusätzlichen Aufwand erfordert, also neue Kosten verursacht.
Daraus ergibt sich nun eine Spaltung der Internetnutzer in solche, die immer weniger Zeitungsinhalte kostenlos nutzen können und in solche, die dafür mit Werbung, Datenweitergabe oder Geld bezahlen. Das bedeutet aber zugleich, dass es viel schwieriger geworden ist, sich im Internet eine Übersicht zu einem Thema zu verschaffen, indem man verschiedene Medien und deren Informationen aufruft. Wieder leidet die Meinungsbildung! Auch Journalisten haben es schwerer sich einen Überblick zu verschaffen, wenn sie sich dafür noch die Zeit nehmen dürfen.
Im Zuge der Sparmaßnahmen wurde auch in den Redaktionen die Arbeit stark verdichtet. Das sieht man an sprachlichen Fehlern, an Texten, in denen Teile fehlen, Gedanken nicht zu Ende geführt sind, wichtige Fragen nicht beantwortet werden, oder Bildern, die dem Nutzer nichts bringen (In der Stuttgarter Zeitung wurde ein Bild bereits mit über 50 verschiedenen Meldungen kombiniert!) Da fragt sich dann der Internetnutzer, wieso er für solche Schlamperei und einen derartigen Häppchen-Journalismus bezahlen soll. Vor allem, wenn Anreißer nur neugierig machen, statt wie bei einer klassischen Überschrift verraten, ob man das lesen will. Wenn Artikel in mehrere Stücke zerlegt werden, damit es mehr Klicks gibt (Klick-baiting) merkt das der Nutzer und ist verstimmt. Genau so, wenn Themen oder Dienste angeboten werden, die sich nachher nicht als nützlich erweisen, weil das Versprochene nicht geliefert wird.
Wie sehr gespart wird, kann man daran sehen, dass vor allem Sport und Polizeibericht, die beide in vielen Fällen nichts kosten, breit ausgewalzt werden. Ebenso bekommen die Schönen der Nacht, oder andere Events breiten Raum. Es geht um das Erzeugen von Gefühlen, wie beim Boulevard, nicht um gediegene Information, wie bei der seriösen Tageszeitung. Den Rest füllt man mit Agenturmaterial, das wortwörtlich übernommen wird, aber durch ein „Symbolbild“ noch ein wenig reizvoller werden soll. Echte journalistische Leistung, also Recherche, Analyse, Bericht und bei Bedarf passende Bilder, die von Profis gestaltet wurden (keine Handyfotos von fotografischen Laien), all das ist selten geworden. Und die jüngsten Skandale zeigen, dass eine aufregende Story bei mancher Chefredaktion sämtliche Sicherungen durchbrennen lässt, wodurch Betrüger dem Ruf des Journalismus zusätzlich schaden.
Warum soll der Nutzer für diesen Kessel Buntes, der der Demokratie herzlich wenig nützt, auch noch bezahlen, oder Werbung zulassen? Die Verlage, die ihre Zeitungen sogar im Bündel verkaufen, haben weder der Demokratie noch dem Journalismus einen guten Dienst erwiesen, indem sie so ohne durchdachten Plan vor sich hin wursteln, was das Internet angeht.
Jetzt sind die Nutzer gespalten sind in Zahlende und Nichtzahlende, die aber zugleich von einem Teil der interessanteren Beiträge ausgeschlossen sind, wenn sie sich nicht dem Diktat der Verlage unterwerfen. Da aber gerade im Lokalen der Nutzer am Besten überprüfen kann, ob das Medium sachgemäß und umfassend berichtet, aber gerade im Lokalen immer weniger Vielfalt existiert, verlieren die Tageszeitungen auch an Ansehen. So falsch der Vorwurf der Lügenpresse (aus der Zeit des Nationalsozialismus) ist, so berechtigt ist eine Kritik an der sinkenden Qualität und abnehmenden Vielfalt der Tageszeitungen. Es wird in den meisten Fällen nicht gelogen, sondern es werden fast nur noch die Themen ausgewählt, die sich mit möglichst wenig Arbeit, also billig herstellen lassen. Durch diese einseitige Auswahl (viel Sport, viel Polizeibericht, viel Schickimicki) entsteht beim Nutzer ein falsches Bild der Wirklichkeit.
Selbst dort, wo die Wohnungseinbrüche sinken, wachsen die Angst und die Umsätze der Alarm-Anlagen-Hersteller. Alte Leute trauen sich abends nicht mehr in die Stadt, weil „Man ja immer wieder von schrecklichen Verbrechen liest“. Das kommt davon, wenn man aus dem Polizeibericht, früher ein kleiner Einspalter, im Netz viele einzelne Meldung erzeugt (weil billig) und mit vielen nichts sagenden Blaulicht-Fotos garniert, so dass der Eindruck entsteht, es passiere dauernd etwas und nirgends sei man sicher.
Durch solchen Verrat am Journalismus fördern die Verleger ein Klima der Angst, das in der Politik zu einem Erstarken rechter und autoritärer Kräfte führt und der Demokratie schadet. Das ausgerechnet die Verleger, die aus Geldgier ihre Aufgabe für die Demokratie vernachlässigen, dann noch auf eine Einschränkung oder gar Abschaffung der öffentlich rechtlichen Sender hin arbeiten, zeigt, dass sie vergessen haben, wie wichtig gute Medien für eine Demokratie sind.
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Das Bild oben zeigt einen Handwerkerspruch in der Hammermühle in Amtszell, den sich manche/r zu Herzen nehmen sollte.
Carl-Josef Kutzbach
Montag, 10. Juni 2019