Die Torheit der Verleger
Kommerz statt Journalismus
 
Neue Straßen (also Straßenbau) führen zu mehr Verkehr, schlechte Bahnverbindungen zu weniger Fahrgästen, bis man schließlich meint die Strecken einstellen zu können. Nur seltsam, dass diese Strecken sich wieder lohnen, wenn man sie pflegt und einen attraktiven Fahrplan anbietet.
Ganz ähnlich wie die Bahn verhalten sich viele Verleger, die ohne gründlich zu überlegen ins Internet stolperten und bis heute kein wirklich tragfähiges Finanzierungskonzept gefunden haben. Erst lockte man die Nutzer mit kostenlosen Angeboten, noch bevor sie in der Zeitung erschienen und wunderte sich, dass die frühere digitale „kostenlose“ Information bevorzugt wurde. Dann merkte man, dass das zu Verlusten bei der gedruckten Ausgabe führte, die der digitale Vertriebsweg nicht ausgleichen konnte. Dahinter steckt der Wettbewerb im Internet immer schneller zu sein und Neuigkeiten als Erster zu verkünden. Welchen Nutzen hat der Verbraucher davon?
Die Schnelligkeit interessiert vor allem Aktionäre, die durch einen Zeitvorsprung ihre Gewinne erhöhen können, indem sie an der Börse handeln. Für den normalen Menschen geht es bei der frühzeitigen Information nur darum damit angeben zu können, dass man besser und schneller informiert ist, als Andere. Beispiel Wetterbericht. Da ist es im Winter gut, wenn man weiß, ob Glätte droht, ob man Schnee räumen muss, oder besser zuhause bleibt. Aber ob da der Wetterbericht ein paar Minuten früher oder später kommt ist um so weniger relevant, je größer die Zeiträume der Vorhersage. Wenn bereits Ende Januar angekündigt wird, dass es Mitte Februar kalt werde, dann kann man sich in aller Ruhe vorbereiten und erschrickt nicht, wenn man morgens aus dem Fenster sieht. Bei vielen anderen Dingen ist die Geschwindigkeit nur ein Argument der Werbung, hat aber wenig praktischen Nutzen, vor allem, wenn sie zu Lasten der Qualität geht wie man an den vielen Fehlern sieht. Nicht mal mehr Rechtschreibung und Grammatik stimmen.
Diese Fehlkalkulation der Verleger senkte ihre zuvor sehr großzügigen (zweistellige Prozente) Gewinne. Also wird gespart. Einerseits an der Qualität, andererseits an den Menschen, indem man Zeitungen zusammenlegt, Redaktionen auflöst, ja sogar, wie jetzt in Stuttgart, das Archiv stilllegt und immer mehr Texte von dpa oder anderen Quellen übernimmt, so das beim Laien der Eindruck entsteht, er habe es mit gelenkten, einheitlichen Medien zu tun. Auch die Möglichkeit Texte von Computern schreiben zu lassen wird als Sparmöglichkeit gesehen und genutzt.
Es fehlt bei den Verlegern offenbar das Bewusstsein dafür, dass die Demokratie Medien braucht, um die Grundlage für eine politische Meinungsbildung zu liefern, dass daher Journalismus nicht allein am Maßstab der Wirtschaftlichkeit gemessen werden darf, sondern daran gemessen werden muss, was er für das Land oder die Stadt leistet.
Senkt man die Qualität und verringert die Vielfalt (und damit auch die Konkurrenz und das Korrektiv) dann leistet man der Demokratie einen Bärendienst.
Wenn man dann noch der letzten überregionalen Konkurrenz, den öffentlich rechtlichen Sendern verbieten lässt, dass sie, mit Gebühren erzeugte, und daher oft bessere Inhalte länger im Internet anbieten, trägt man aktiv dazu bei, das Wissen verloren geht, nur, weil man die Konkurrenz fürchtet.
Wenn aber die Verlage sich aus vielen Orten zurück gezogen haben, die Redaktionen auflösten und kaum noch fundierte Lokalberichterstattung bieten, dann muss man fragen, wer diese Lücke füllen soll. Das Internet? Gerüchte? Oder die öffentlich rechtlichen Sender?
Die Hilflosigkeit der Verleger zeigt sich auch darin, dass man meint alle möglichen Formate  anbieten zu müssen, statt mit dem zu punkten, was man einst besonders gut konnte, rasche Information durch gute und handwerklich saubrere Texte und wenige, aber hochwertige Bilder.
Dass die Verlage obendrein die Daten ihrer Nutzer stehlen (wenn man den Benutzer darüber im Unklaren lässt, was mit dessen Daten geschieht, damit er sich nicht wehrt, dann ist das eine Form von Betrug und Diebstahl) um damit Geld zu verdienen, ist das kein Zeichen von Seriosität, geschweige denn davon, dass man seiner Aufgabe der Demokratie zu dienen gewillt ist. Nein, man arbeitet fleissig am „Gläsernen Bürger“ mit.
Sollte es auf Grund dieser Entwicklung dazu kommen, dass immer weniger Menschen den Verlegern vertrauen und so die gemeinsame Grundlage für demokratische Entscheidungen leidet, dann muss man sich über rechte Umtriebe und Verschwörungstheorien nicht wundern. Natürlich wäre eine zentrale Belieferung aller Medien mit denselben Inhalten das Allerbilligste und man könnte noch mehr Stellen einsparen. Nur erinnert das fatal an das Dritte Reich und dessen gleichgeschaltete Medien. Offenbar ist vielen Verlegern nicht bewusst, dass sie gerade dabei sind einer derartigen Entwicklung den Weg zu ebnen.
Die Medien sind ein gutes Beispiel dafür, dass  der Markt eben nicht alles bestens regelt, sondern - wie bei der Umwelt auch - Schaden erzeugt, weil er Aufgaben oder Auswirkungen ausblendet, sobald die sich nicht in Euro ausdrücken lassen.
Wenn einst angesehene Redaktionen, wie die der Stuttgarter Zeitung, von der Verlagsleitung, oder der Leitung der Gesellschaft, die im Verlag das Sagen hat, ruiniert werden, braucht man sich nicht wundern, wenn immer weniger Menschen bereit sind dafür zu bezahlen.
Wenn man dann noch Versprechen bricht, wie bei StZ und StN, die vor etwa 40 Jahren hoch und heilig versprachen, dass Stuttgart eine Stadt mit zwei konkurrierenden Zeitungen bleiben werde, weil sie sonst vom Kartellamt nicht die Genehmigung zur gemeinsamen Vermarktung ihrer Werbung bekommen hätten, schadet seinem Ruf und der Stadt, in der man sein Geld verdient. Wenn man obendrein, wie bei Stuttgart 21, Politik mit seinem Blatt macht, statt sauberen Journalismus zu liefern, und den Bürgern die Entscheidung zu überlassen, hat jegliche Glaubwürdigkeit verspielt. Nun haben die armen Stuttgart keine solide Lokalberichterstattung mehr und schon gar nicht aus zwei unabhängigen Quellen. Auch so kann man den Journalismus ruinieren und sich den Ast absägen, auf dem man sitzt.
 
Das Bild oben zeigt Werbung an einem Bus, die zeigt, wie Verlage versuchen auf allen Hochzeiten zu tanzen und alle Formate zu bedienen.
Carl-Josef Kutzbach
Montag, 22. Februar 2021