Jemand beobachtete in den Fünfziger Jahren, dass an einem Kinderkrankenhaus fast jeden Mittag ein Leichenwagen hielt. Da müssen ja üble Zustände herrschen, dachte sich der Mensch und informierte die Zeitung. Offenbar prüfte der Journalist nur, ob der Leichenwagen tatsächlich so oft dort hielt, und verfasste dann einen kritischen Kommentar.
Damit löste er allerdings im Kinderkrankenhaus keine Betroffenheit aus, sondern nur Gelächter, denn der Fahrer des Leichenwagens war mit der Köchin befreundet und holte sich nur sein Mittagessen ab. Als sich das herum sprach, lachte auch die halbe Stadt über den übereifrigen Journalisten, der sich diese Blamage durch ein wenig Recherche erspart hätte. Aber vielleicht wollte er sich einfach den von ihm entdeckten Skandal nicht durch eine Recherche kaputt machen lassen? Es handelt sich in diesem Fall um einen klassischen Trugschluss, wie ihn schon die alten Griechen als Scherz liebten: „Affen essen Bananen. Sokrates isst eine Banane. Also ist Sokrates ein Affe!” Das altgriechische Wort dafür „Paralogismos” heißt auf deutsch ungefähr: „An der Logik vorbei.”
So etwas geschieht leider viel öfter und teilweise mit Absicht. Da werden in der Wissenschaft kühne Theorien vertreten, obwohl die Zahl der untersuchten Fälle so gering ist, dass das Ergebnis im Bereich der mathematischen Ungenauigkeit liegt und Journalisten fallen darauf rein, weil es ihnen am Hintergrundwissen fehlt und sie deshalb dem Forscher einfach glauben müssen. Auch bei Statistiken und beim Prozentrechnen sind Fehler häufig. Da tröstet es wenig, wenn auch Ärzte damit Schwierigkeiten haben.
Oder es wird behauptet, dass die Flüchtlinge uns die Arbeit weg nähmen, anstatt sich einzugestehen, dass wir es sind, die durch Exporte von Waffen, von Lebensmittel-Überschüssen, von gebrauchter Kleidung oder Technik und Müll ihnen zuerst das Leben so schwer gemacht haben, dass sie keine Chancen mehr für sich und ihre Familien sahen und deshalb flohen. Erst dort die einheimische Wirtschaft ruinieren und die Menschen dann als „Wirtschaftsflüchtlinge” beschimpfen, das ist schon ziemlich niederträchtig. Unser Wohlstand beruht ja zum Teil auf deren Elend!
Da heute angeblich 75% der journalistischen Beiträge auf Pressemitteilungen zurück gehen, sei an das Grundgerüst einer Recherche erinnert:
1. Quelle oder Urheber eines Themas, einer Sache befragen.
2. Fachleute um eine Einschätzung bitten.
3. Betroffene befragen, was das für sie bedeutet.
4. Nicht direkt Betroffene zu ihrer Meinung befragen, ob sie das für gerecht halten, oder wie sie es finden würden, falls sie betroffen wären.
Leider gibt man sich häufig damit zufrieden nur die Quelle zu zitieren, ohne sie geprüft zu haben. Andere zitieren ständig nicht beteiligte Fachleute, um zu belegen, dass sie recherchiert haben. Das halte ich für fragwürdig. Wenn ich die Seriosität einer Quelle geprüft habe, dann muss ich diese Selbstverständlichkeit nicht an die Große Glocke hängen, sondern kann den Platz nutzen um die Fakten etwas ausführlicher darzustellen, ruhig durch die Quelle. Für den Mediennutzer ist am wichtigsten, dass die Fakten stimmen und anschaulich vermittelt werden. Dass man die Fakten prüft und auf etwaige Schwachpunkte hin weist, sollte selbstverständlich sein. Den Mediennutzer interessiert aber der Arbeitsnachweis des Journalisten nicht, sondern sein Ergebnis und dessen Qualität.
Ebenfalls eine Unsitte ist es möglichst viele Fachleute zu Wort kommen zu lassen, um den Eindruck von umfassender Recherche und großer Sachkenntnis zu erzeugen. Dass man in der Wissenschaft möglichst viele Belege für die eigene Ansicht zusammen trägt, muss der Medienmacher nicht nachahmen. In den meisten Medien geht es darum einen Sachverhalt so anschaulich und verständlich wie möglich und dennoch knapp darzustellen, nicht um eine wissenschaftliche Beweisführung, auch, wenn höchste Genauigkeit wünschenswert ist.
Ein alter Leichenwagen, der einst von Pferden gezogen wurde.