Lang(sam)es Zeitungssterben
 
Vor rund vierzig Jahren wurde die Werbung von Stuttgarter Zeitung ( StN ) und Stuttgarter Nachrichten ( StN ) zusammen gelegt, so dass man immer in beiden Blättern werben musste. Damals versprachen die Verantwortlichen dem Kartellamt hoch und heilig, dass Stuttgart immer eine „Zwei-Zeitungs-Stadt“ bleiben werde. Das bedeutet, dass zwei Zeitungen sich in Konkurrenz um Leser und Themen befinden und sich so gegenseitig kontrollieren, weil jede der beiden Zeitungen versucht das zu bringen, was die Andere vielleicht übersehen hat. Diese Konkurrenz dient, anders als sonst in der Wirtschaft, der Vielfalt und Qualität.
Das ist längst Geschichte, denn heute unterscheiden sich die beiden Blätter nur noch in der Schmuckfarbe. Die Redaktionen wurden ausgedünnt und zusammen gelegt. Es gibt keine Konkurrenz mehr, die Redaktionen zu Höchstleistungen triebe. Damit ist das Versprechen von damals gebrochen.
Das wäre nicht so schlimm, wenn die Qualität nicht ebenfalls gesunken wäre. Das Pressehaus macht nur noch, was Klicks ( oder Geld ) bringt. Auf die Forderung der Präsidentin des Landtages wieder mehr über die Landespolitik zu berichten, antwortete man: „Das bringt keine Klicks.” Dafür gibt es Sex, Polizeibericht, Texte von dpa ( Deutsche Presse Agentur ) unbearbeitet. In der Kultur sind die kleinen und privaten Theater verschwunden und durch Serien aus Streaming-Angeboten ersetzt worden, die man auch in anderen Medien der SWMH ( Südwestdeutschen Medienholding ) nutzen kann. Größter Mangel ist aber die Lokalberichterstattung, die in Stuttgart beim Süd- und West-Blättle wesentlich vielfältiger ist.
Warum ist der Verlust der Lokalberichterstattung so bedenklich? Weil Studien aus Amerika und Deutschland zeigen, dass dort, wo es keine Lokalberichterstattung mehr gibt, die Kontrolle der Politik unterbleibt und es mehr Verbrechen und mehr Korruption gibt, die den Bürgern und Gemeinden schaden. Man kann es ganz einfach begründen: "Die Gefahr erwischt zu werden, sinkt!" Zugleich steigt die Zahl der rechten Wähler.
Wie kam es zu dieser Entwicklung? Die gemeinsame „Werbekombi” von vor rund 40 Jahren, war eine Maßnahme um den wirtschaftlich schwächeren StN zu helfen, aber auch um die Einahmen durch gleichzeitige Werbung in beiden Zeitungen zu erhöhen. Damals war eine Lizenz zum Zeitungsverlegen auch eine Lizenz zum Geld drucken, denn es gab Renditen von über 20%. Dann stürzten sich viele Zeitungen in das Abenteuer „Internet”, ohne einen Plan B zu haben, wie sie da notfalls wieder heraus kämen. Nein, man bot die Inhalte, die am nächsten Tag in der Zeitung Geld verdienen sollten, schon heute kostenlos im Internet an und entwertete so das eigene Produkt und die eigene Arbeit.
Hinzu kam Kampagnen-Journalismus, in dem die StZ für „Stuttgart 21”, die Verlegung des Hauptbahnhofes unter die Erde warb, die sich mittlerweile, wie von den Kritikern befürchtet, als Milliardengrab erweist. Außerdem kaufte die SWMH die Süddeutsche Zeitung für 300 Millionen, was ihr fast das Genick brach. Sie wurde angeblich von der LBBW durch einen Kredit gerettet. Seither erscheinen Artikel aus der Süddeutschen - wie praktisch - etwas später auch in den Stuttgarter Blättern.
Dafür musste in beiden Blättern gespart werden und es wurden immer mehr Journalisten und Redakteure entlassen. Sogar das, bzw. die Archive ( das Gedächtnis der Zeitungen ) wurde aufgegeben. In die Blätter schafft es nun nur noch, was möglichst schnell und möglichst billig zu erstellen ist. Aufwändige Recherchen, Beobachtungen langfristiger Entwicklungen, Betrachtungen politischer Trends oder von Parteien, findet kaum noch statt.
Zugleich wurden immer mehr lokale Blätter übernommen und deren ( teure ) Lokal- Redaktionen ausgedünnt, oder aufgelöst. Möglichst viel soll aus billigeren „Zentralredaktionen” geliefert werden. Dadurch ging die Vielfalt der Informationen, der Berichte und Meldungen zurück und beim Bürger entstand der Eindruck alle Zeitungen seien „gleichgeschaltet” oder von der Regierung gesteuert ( Vorwurf: „Lügenpresse!” ). Dabei ist die Ursache viel banaler: Alles, was Geld kosten würde, wurde gespart. Möglichst viele Blätter bringen daher denselben Artikel, dieselben - oft schlechten - Fotos, weil die Journalisten aufgefordert werden mit dem Smart-Phone Bilder zu machen. Da sie aber keine Fotografen sind misslingt das oft, obwohl die Geräte sehr gut geworden sind. Fotografen bekommen teilweise nur noch 0,50 € je Foto und können davon nicht mehr leben. In den Redaktionen gibt es keinen Fotoredakteure mehr, der darauf achten würde, dass falsch belichtete oder schlechte Fotos nicht ins Blatt kommen.
Kurz, die Qualität der Blätter sinkt ständig. Die Kunden sind enttäuscht und verärgert, da der Preis für das Abo steigt, aber die Leistung sinkt. Aber da es in Stuttgart ( außer den Blättle im Westen und Süden ) keine unabhängige Lokalberichterstattung mehr gibt, zahlen Viele Zähne- knirschend das teure Abo. Aber wirklich gut informiert werden sie schon lange nicht mehr.
Da man keine zwei Fassungen der Beiträge mehr macht ( eine für Online, eine für's Blatt ) hat sich auch der Aufbau der Meldungen geändert. Früher verkündete die Überschrift, worum es geht und ob man das lesen sollte. Der erste Absatz fasste das Wesentliche zusammen. Der folgende Text die Argumente in absteigender Folge, denn ganz früher wurde zur Not am Ende mit der Schere gekürzt. Der Leser konnte sich also sehr schnell über das informieren, was ihn interessierte. Heute dagegen stellt die Überschrift oft eine Frage, die zum Anklicken und Lesen des Beitrags animieren soll ( Teaser ). Der erste Absatz verrät nichts, aber walzt die Frage noch etwas mehr aus, damit der Nutzer dazu gedrängt werde, ein Abo abzuschließen, um den Rest auch noch lesen zu können. Also weicht der Interessierte zu den öffentlich rechtlichen Sendern aus, weil man dort solidere Informationen bekommt. Nur liefern die keine Lokal- Berichterstattung. Das ist auch nicht ihre Aufgabe. Aber die Seiten der Zeitungen aufzurufen ist auf Grund der Strategie (Lockangebot, aber nichts Wesentliches ) sinnlos geworden.
Da passt es ins Bild, dass die Verantwortlichen jetzt die Blätter verkaufen wollen, nachdem sie diese runter gewirtschaftet haben. Die StZ war mal ein überregionales Blatt, wird aber jetzt von der SWMH selbst nur noch als "Regional-Zeitung" betrachtet und abgestoßen.
Für die Verantwortlichen zählen nur die betriebswirtschaftlichen Ergebnisse, die ihrer Ansicht nach sich am Geld / Klicks, an Schnelligkeit, billiger Herstellung und möglichst vielfacher Nutzung in vielen Blättern ablesen lassen.
Dass das nicht die Aufgaben sind, die die Presse in einer Demokratie hat, interessiert diese Betriebswirte nicht. Ja nicht einmal, dass der Bürger bereit wäre für eine gute Leistung auch gutes Geld zu bezahlen. Aber für immer mehr Boulevard, statt harter Fakten, wollen immer weniger Bürger ihr Geld ausgeben. Damit setzt sich der Niedergang der Zeitungen fort, die mit ihren Lokalredaktionen das Frühwarnsystem der Medien waren. Nur dort, wo aufmerksame Journalisten beobachteten, was geschieht, mussten sich Geschäftemacher in Acht nehmen und fielen korrupte Politiker auf.
Die Entwicklung der Zeitungen und das Sterben der Lokalredaktionen und Lokalausgaben schadet der Demokratie, weil das „Demokratische Dreieck” ( Siehe auch mein Vortrag „Gute Nachrichten - Schlechte Nachrichten” ) nicht mehr funktioniert. Wenn die Bürger nicht mehr erfahren, wer zur Wahl steht und was der verspricht, hat er keine Wahl. Wenn die Medien nicht zwischen Wählern und Kandidaten vermitteln, wird die Wahl zum Glücksspiel. Gleichzeitig ist es Aufgabe der Medien den Gewählten auf die Finger zu schauen, ob sie ihre Versprechen auch einhalten. Und schließlich übermitteln Zeitungen im Lokalen und Regionalen das, was die Bürger bedrückt, an die Mächtigen und Gewählten, so dass diese die Mängel abstellen können.
Dort, wo es an Lokalberichterstattung fehlt, triumphieren Populisten, weil niemand mehr prüft, was sie versprechen.
Wenn in Zeiten, in denen 20% Verfassungsfeinde in den Bundestag wählen, die Zeitungen ihre demokratische Aufgabe nicht mehr erfüllen, sondern sich Geschäftemacher die Taschen füllen, muss man sich über die Schwierigkeiten der Demokratie nicht wundern. Allerdings steht zu befürchten, dass von der SWMH und ihren Zeitungen nicht viel übrig bleiben wird, sei es, weil sie sich verkalkulierten, sei es, wenn eine demokratiefeindliche Partei an die Macht käme und die Blätter gleichschaltete, wie vor rund 90 Jahren.
 
Bild oben: Stuttgarter Zeitung vom 2.6.1950 links und 27.9.2016 rechts. Bunt statt informativ!
 
 
Carl-Josef Kutzbach
Freitag, 30. Mai 2025