Abschied vom Journalismus
 
Journalisten sind die Tagebuchschreiber, aber auch Zeugen ihrer Zeit. Das ist ein schöner und interessanter Beruf, der lebenslanges Lernen ermöglicht. Dabei zwingt die Aufgabe das Wesentliche seiner Zeit zu erfassen und knapp und klar zu formulieren zu einer gewissen Disziplin, die für Menschen mit viel Phantasie durchaus heilsam sein kann.
Was bringt mich nach 45 Jahren dazu diesen Beruf aufzugeben?
  1. 1.Der Niedergang der Qualität. Die Qualität der Berichterstattung entscheidet auch über die Qualität der Demokratie, weil sie das Niveau der politischen Debatten bestimmt. Der Aufstieg von Populisten zeigt, dass es hier erhebliche Mängel gibt. Dafür gibt es mehrere Gründe:
  2. a) sinkende Qualität der Medien, weil Verlage und Sender nicht bereit sind den notwendigen Aufwand zu treiben.
  3. b) Das Internet, bei dem alle dabei sein wollten, aber ohne ein Konzept zu haben, wie sich das finanzieren soll. Viele Zeitungen boten ihre Inhalte kostenlos und so schnell, wie möglich an, was dazu führte, dass die gedruckte Ausgabe am nächsten Tag nichts Neues mehr bot.
  4. c) Die Politik forderte 1984 bei der Einführung von Privatfunk und Privatfernsehen, dass auch die öffentlich-rechtlichen Sender sich dem Wettbewerb stellen müssten. Nicht mehr hohe Qualität, sondern das Erreichen möglichst vieler Nutzer, sollte nun das wichtigste Ziel der Sender sein. Dass die Öffentlich-Rechtlichen von den Besatzungsmächten des Westens als oberstes Ziel Qualität verordnet bekamen, um dadurch auch die privaten Medien (damals vor allem Zeitungen) zu höherer Qualität zu zwingen, wurde vergessen. Die gewünschte Konkurrenz zwischen Öffentlich-Rechtlichen und privaten Medien, der gesunde Wettbewerb, wurde von Politikern zerstört, wobei es ARD und Deutschlandfunk nicht gelang der Politik diesen fatalen Fehler klar zu machen. Das weckt den Verdacht, dass es vielleicht kein Versehen war, sondern Absicht, denn „die Herrschenden haben ein Interesse daran, die Beherrschten in einer gewissen Unmündigkeit zu halten”, wie es die Frankfurter Schule formulierte.
  5. d) der Neoliberalismus macht Geld-verdienen zum obersten Ziel: Damit wird Werbung (neben den Abonnements) zur wichtigsten Einnahmequelle und die wird danach bezahlt, wie viele Menschen man erreicht. Das führte bei den Öffentlich-Rechtlichen durch die Einschaltquote (die der Kabarettist Matthias Richling als „Einfaltsquote” bezeichnete, weil man um so mehr Leute erreicht, je niedriger die Ansprüche oder das Niveau sind. Mathematisch formuliert ist das der kleinste gemeinsame Nenner!) und damit auch bei den privaten Medien zum Senken des Aufwands, also des Niveaus. Schnell und billig soll Journalismus heute sein, um mit geringstem Aufwand möglichst viele Klicks im Internet zu erzeugen, weil die für die Werbeeinnahmen entscheidend sind.
Der Schwerpunkt der Beiträge verlagerte sich von Information und Qualität hin zu Gefühle weckenden Themen, die Klicks bringen, egal, wie unbedeutend sie sind (Katzenfotos, Events, Partygänger). Einst seriöse Blätter bringen heute vor allem den (kostenlosen) Polizeibericht, Sport und redaktionell aufgemachte Werbung mit kleinem hellgrauen Zusatz „Anzeige”. An die Stelle der Vermittlung von wesentlichen Inhalten ist „content“ getreten, also das Befriedigen von Nutzern, deren Bedürfnisse man durch Ausspionieren zu erkennen sucht, weil man keine Ahnung mehr hat, wozu Medien in einer Demokratie notwendig sind und, dass es zu ihren Aufgaben gehört Themen anzustoßen, wenn diese übersehen, oder verdrängt werden. „Aber das will doch keiner mehr lesen!” heißt es dann, wenn unbequeme Dinge beim Namen genannt werden müssten. „Bloß nicht belehren!” sagte mal ein alter Redakteur vor vielen Kollegen unwidersprochen, obwohl er viele Jahre Schulfunk gemacht hatte und eigentlich hätte wissen müssen, dass die Vermittlung von Neuigkeiten vor allem ein Angebot zum Lernen ist, weil es dem Menschen ermöglicht sein Wissen, seinen Blickwinkel und sein Verständnis der Welt zu erweitern und das bedeutet eben: Lernen.
Der Mediennutzer, also der an der Demokratie interessierte Bürger, wird jedoch eher mit Unterhaltung, im Sinne von Amüsantem abgespeist, statt ihm die wirklich wichtigen Fakten zum Zustand des Gemeinwesens zu vermitteln. Wenn die Stuttgarter Zeitung stolz darauf ist, dass es ohne sie Stuttgart 21 (die unnötige Verlegung des Hauptbahnhofes unter die Erde) nicht gäbe, dann hat sie vergessen, dass Medien den Bürgern dienen sollen, nicht sie bevormunden. Eine aufklärerische, kritische Berichterstattung sieht anders aus.
Überall werden Redaktionen zusammen gelegt, kleine lokale Blätter dicht gemacht und die Pressevielfalt, die für das Land und seine Bürger wichtig wäre, dem Kommerz geopfert. In Stuttgart hatten die beiden Blätter vor viele Jahren hoch und heilig versprochen, dass die redaktionellen Inhalte getrennt bleiben würden, auch, wenn man die Werbung gemeinsam mache. Nur wegen dieses Versprechens genehmigte das Kartellamt die Zusammenarbeit. Und heute? Unterscheiden sich die beiden Blätter vor allem in den Schmuckfarben, aber kaum noch im Inhalt. Stuttgart ist nur noch nach Außen hin eine Stadt mit zwei Zeitungen, aber in Wirklichkeit kommt das Meiste aus einer zentralen Redaktion, ja seit der Verlag SWMH (Südwestdeutsche Medien Holding) die Süddeutsche Zeitung für 300 Millionen kaufte, manchmal auch von dort, denn das spart Geld. Publizistische Vielfalt, verschiedene Meinungen und Blickwinkel, das, was für die Demokratie gut wäre, ist offenbar nicht mehr wichtig!
Viele, auch gute Kolleginnen und Kollegen mussten gehen. Einige gründeten die Kontext- Wochenzeitung, die der Taz am Samstag beigelegt wird und ab Mittwochs im Netz steht. Aber das kann den Verlust an Vielfalt, der in Stuttgart (anderswo ebenso) eintrat nicht ausgleichen. Hinzu kommt ein Häppchenjournalismus, der immer weniger Orientierung gibt, sondern Themen danach auswählt, ob sie
  1. a) mit geringem Aufwand umzusetzen sind und
  2. b) möglichst Neugier und viele Gefühle wecken.
Ganz deutlich sieht man das bei den veröffentlichten Fotos, die immer öfter mit dem Mobiltelefon erstellt werden, ohne, dass der Fotografierende eine Ahnung hätte, wie man ein gutes Foto macht. Oft sieht man deutlich, dass das Bild mit der Automatik gemacht wurde, die in manchen Situationen keine guten Bilder liefern kann, so dass der Mensch eingreifen muss. Aber die Honorare für Fotos sind dermaßen in den Keller gefallen, dass es für viele Profis kaum noch wirtschaftlich ist. Trotz Honoraren von manchmal nur noch 2 Euro pro Bild verwenden viele für ihren Auftritt im Internet Bilder von Agenturen, die noch billiger sind.
Wenn man als freier Journalist, bei einem Termin Bilder macht, die handwerklich einwandfrei sind und sich mit denen der Agenturen messen können, der Sender aber jene nimmt, weil er für die Agentur nicht zusätzlich bezahlt und so das Honorar für den freien Journalisten spart, dann braucht man sich nicht wundern, wenn man keine Bilder mehr angeboten bekommt. Noch ärgerlicher ist, wenn Fotos veröffentlicht werden, die kostenlos sind, etwa weil sie eine Pressestelle oder die Polizei anfertigen ließ. Da fehlt es an journalistischer Unabhängigkeit und der Frage wem das wohl nützt.
Wenn aber viele Leute, die „irgend etwas mit Medien” machen wollen, keine Ahnung von den Aufgaben des Berufes und der Medien mehr haben und bereitwillig die Qualität kaputt sparen, dann will ich da nicht mehr mitmachen.
  1. 2.) Seit Jahren befasse ich mich mit der Frage: Was braucht der Mensch? Dabei lernte ich, dass alle Medien, die dem Nutzer ein Tempo diktieren (Radio, Film, Fernsehen, Video) keine Rücksicht darauf nehmen, dass Menschen unterschiedlich schnell lernen. Manche sind im Nu im Bilde, andere brauchen mehr Zeit. Statische Medien (Text, Bild) lassen den Nutzer frei das Tempo wählen, das mit seinen Bedürfnissen und Fähigkeiten am Besten harmoniert. Meine Arbeit für's Radio, war also für alle nützlicher, seit Manuskripte im Internet zum Nachlesen stehen. Aber das wird zur Zeit (wegen der Kosten) wieder gestrichen.
  2. Außerdem erlaubt ein Text eine höhere Dichte, weil der Lesende die Möglichkeit hat langsamer, oder sogar noch eimal zu lesen. Genau so erlaubt ein Bild es so lange zu betrachten, bis man alles gesehen hat. Heute werden Bilder in Medien oft nur noch als „optisches Füllmaterial” benutzt. Nachdem ich in der StZ ein Bild 50 mal gesehen hatte, habe ich mit Zählen aufgehört. Das Bild wurde mit 50 verschiedenen Beiträgen kombiniert. Was soll das? Es nutzt dem Leser ja nicht eimal mehr als als Hinweis auf ein bestimmtes Thema. Das Bild ist also für den Nutzer wertlos! Er kommt sich bestenfalls auf den Arm genommen vor, wahrscheinlich aber dämmert ihm, dass es der Redaktion nicht darum geht ihm einen guten Dienst zu erweisen, sondern darum ihm möglichst billig das Geld oder Daten aus der Tasche zu ziehen. Seriöse Medien verdienen Geld damit, dass sie dem Nutzer einen Dienst erweisen, für den dieser dann auch bereit ist angemessen zu bezahlen. Pfusch lohnt sich für den Nutzer nicht.
  3. 3.) Der Verleger Gerd Buccerius soll Journalisten mal als „Durchlauferhitzer“ bezeichnet haben. Man muss ständig versuchen die Hand am Puls der Zeit zu haben und auf möglichst vielen Gebieten auf dem Laufenden bleiben. Das wird im Alter und folglich immer mehr Themen schwieriger. Es verhindert aber auch, dass man zu sich und zur Ruhe kommt und all das Gelernte im Zusammenhang betrachten kann. Aber erst, wenn man wie bei der Betrachtung eines Gemäldes den richtigen Abstand findet, kann man es ganz erfassen. Ab einem gewissen Alter scheint es außerdem die Aufgabe zu sein auf das Leben zurück zu blicken und daraus Schlüsse zu ziehen, die - so hofft man wenigstens - auch für Andere und Jüngere mal nützlich sein könnten. Deshalb kommen ältere Redakteure oft auf Themen, die jüngeren noch nicht zugänglich sind, oder nicht auffallen. Aber die Alten sind – trotz ihrer Qualitäten - oft den Medien zu teuer.
Qualitätsverlust, Erkenntnis über den Wert statischer Medien, und der Wandel der dem Alter entsprechenden Aufgabe bringt mich nun dazu den Beruf des Journalisten als Tagebuchschreiber und Zeitzeuge aufzugeben und mich mehr um Themen zu kümmern, die über den Tag hinaus Bedeutung haben könnten und das in Form von Text und Bild zu veröffentlichen. Auf meiner Webseite, oder in Vorträgen, bei denen man in der persönlichen Begegnung auch spürt, ob man sich verständlich ausdrückt, oder zu schnell ist.
Dazu gehört auch, dass ich das, was ich alles in den vielen Jahren lernen durfte, auch weiter gebe, wenn daran Interesse besteht. Meine Zeit der Arbeit als Journalist und vorwiegend für das Radio war also keinesfalls schlecht, oder ein Irrtum (es sei denn ein notwendiger, wertvoller). Aber schon Konfuzius meinte vor ca. 2400 Jahren, dass derjenige, der einen Fehler erkennt und ihn nicht abstellt, gleich den nächsten Fehler begehe. Deshalb bin ich nicht mehr Journalist, sondern nur noch Autor.
 
Das Bild oben zeigt, wie heute mit Druckerzeugnissen und Medien umgegangen wird. Die Ausfahrer - selbst sehr unter Druck - legen Werbung und Zeitungen irgend wo ab, egal, ob sie der nächste Regen verdirbt, oder jemand Exemplare stiehlt.
Carl-Josef Kutzbach
Freitag, 27. September 2019